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Bequeme Marktsituation für Google seit 2003
Seit gut 20 Jahren dominiert Google unangefochten den Suchmaschinenmarkt. Wer in der Vergangenheit Suchmaschinenmarketing aussprach, meinte automatisch Marketing auf Google. 2003 stieg der Marktanteil von Google in Deutschland erstmalig auf 60 %. Seit 2005 steht Google mit mehr als 80 % Marktanteil Jahr für Jahr an der Spitze. Alle anderen Marktbegleiter fristeten ein Nischendasein. Das änderte auch am Launch von Microsoft Bing in 2009 nichts.
Microsoft Ads fristet seither ein absolutes Nischendasein. Nur durch dreistes Kopieren der gesamten Oberfläche und Funktionsweise von Google Ads ist es Microsoft gelungen, wenigstens einen winzigen Teil vom Kuchen abzubekommen. Der Importvorgang eines bestehenden Google Ads Setups zu Microsoft Ads ist spielend einfach. Verächtlich belächelten SEA-Experten Ankündigungen neuer Features von Microsofts Advertising-Plattform. Sie vermittelten stets das Gefühl, dass Microsoft Google mit einer Verzögerung von 12 Monaten hinterherlief. Wird der Gesamtmarkt aus der Vogelperspektive betrachtet, ist Microsoft Ads einfach kaum erwähnenswert. Der Plattform fehlt die Reichweite. Und damit fehlt auch jedwede Relevanz.
2023 – das Jahr der Disruption
2023 kann das Jahr werden, das in dieser Hinsicht Geschichte schreibt. Bing wird in wenigen Monaten mit der KI-Power von ChatGPT ausgestattet, das seit seinem Launch einen Blitzstart hinlegte wie bisher kein anderes Tool. 1 Mio Nutzer nach 5 Tagen sprechen Bände. Die neue Integration wird von Microsoft ausgezeichnet inszeniert. Die Geschwindigkeit, mit der Microsoft den Hype um ChatGPT für sich zu nutzen weiß, ist beeindruckend. Die ersten Einblicke auf die Integration sehen vielversprechend aus. Interessierte können sich bereits jetzt für eine Beta-Version anmelden. Die Warteliste hat jedoch bereits Millionen von Interessenten.
Kein Wunder, dass Google intern Code Red ausgerufen hat. Die Gründer Larry Page und Sergey Brin wurden höchstpersönlich aus dem Ruhestand zurückgeholt. Das Monopol von Google schwankt bedrohlich. Von 279,8 Milliarden US-Dollar Umsatz in 2022 hängen gut 80 % am Werbegeschäft. Von diesen 80 % Umsatz stammen lediglich 13 % aus der Vermarktung von YouTube. Über den Anteil des Google Display Netzwerks am Gesamtumsatz kann nur spekuliert werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass weit über 100 Milliarden, wenn nicht sogar mehr als 150 Milliarden US-Dollar ausschließlich von der Google-Suche abhängen.
Für Google ist es 5 vor 12. Das zeigt die überstürzte Ankündigung der KI-Offensive von Google eindrücklich. Sundar Pichai höchstpersönlich hat sich zur weiteren Strategie im offiziellen Google Blog geäußert. Ein absolutes Novum. Die KI Bard soll es nun richten und es mit ChatGPT aufnehmen. Die öffentliche Presse weiß nach einer ersten Demonstration der Fähigkeiten von Bard nicht viel Positives zu berichten. Der Google CEO unterdessen fordert jeden! Entwickler dazu auf, täglich 2-4 h in die Weiterentwicklung von Bard zu investieren, wie Business Insider kürzlich berichtete.
So wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit kommen, wie es kommen muss: Microsoft Bing launcht ein Feature, dem nachgesagt wird, dass es die Qualität der Google Suchergebnisse in 8 von 10 Fällen schlägt. Damit disruptiert Microsoft das Funktionsprinzip der klassischen Suche, die seit gut 25 Jahren aus 10 Boxen mit verlinkten Teasern besteht und durch das Ausschmücken mit einigen Werbeblöcken für Google zu einer Gelddruckmaschine geworden ist. Google beschritt seit Jahren den langsamen Wandel von der Such- zur Findemaschine und wird nun von Microsoft eiskalt überrascht: Der Chatbot hat das Zeug dazu, die Vision der Findemaschine tatsächlich zu erfüllen.
50 % Marktanteil für Microsoft Bing Ende 2023 keine Utopie
Ich prognostiziere, dass wir kurzfristig durch die Schnelllebigkeit der Welt, wie wir sie heute kennen, eine massive Verschiebung im Suchmaschinenmarkt sehen werden. Sollte Microsoft den Ansturm technisch bewältigen können und die Launen der KI, die sich offenbar doch um einiges von ChatGPT unterscheidet (es wird vermutet, dass direkt V. 4 gelauncht wird), schnell in den Griff bekommen, ist der Weg offen für einen Marktanteil Microsofts von über 50 % noch in diesem Jahr. Google selbst hat gezeigt, wie schnell es gehen kann, einen Markt zu erobern, wenn der Mehrwert des eigenen Produkts nur groß genug ist. Diese Prognose steht unter dem Vorbehalt, dass Google es nicht schafft, noch dieses Jahr eine KI in der Suche zu launchen, die eine ähnliche Qualität wie die von ChatGPT liefern kann.
Die kurzfristigen Auswirkungen für das Suchmaschinenmarketing
Kurzfristige Auswirkungen auf SEA
Sollte die Verschiebung der Marktanteile tatsächlich eintreten, verliert Google Ads an Reichweite und wird mit sinkender Relevanz zu kämpfen haben. Es könnte vermutet werden, dass Google seine Anstrengungen, den Wettbewerb zwischen den Werbetreibenden weiter anzukurbeln, deutlich intensivieren wird. Schon heute ist es so: Wenn der Algorithmus jedes Google Ads Accounts durch automatische Conversion Maximierung oder ROAS Bidding bis an die Profitabilitätsgrenzen bietet, gewinnt vor allem einer: Google. CPCs, die vor zwei Jahren noch bei einem Euro lagen haben sich in einigen Branchen schon längst um bis zu 400 % erhöht. Doch bei diesem Gedanken ist Vorsicht geboten. Wenn das Monopol im Suchmaschinenmarkt verloren geht, steigen die Opportunitätskosten beim Einsatz von Google Ads. Es könnte effizienter sein, Werbe-Euros zu Microsoft zu verschieben, da sie dort durch geringere CPCs günstiger eingesetzt werden könnten. In jedem Fall ist steigender Wettbewerb zwischen den Plattformen für Werbetreibende eine sehr positive Nachricht. Gut vorbereitet ist, wer sich jetzt schon mal intensiver mit seinem Microsoft Ads Account auseinandersetzt, das Tracking auf den bestmöglichen Stand bringt und im Fall von Shopping für einen optimierten Datenfeed sorgt. Durch die enge Verknüpfung von Microsoft und LinkedIn wird der ein oder andere Marketer spannende neue Möglichkeiten für sich entdecken: LinkedIn Targeting-Kriterien sind seit längerer Zeit in Microsoft Ads verfügbar. Durch fehlende Reichweite war diese Option jedoch nicht allzu spannend.
Kurzfristige Auswirkungen auf SEO
Für die SEO-Branche und alle Unternehmen, die über die organische Suche sehr kostengünstige Umsätze generieren, wird es spannend. Im Gegensatz zu ChatGPT verlinkt der Microsoft Chatbot seine Quellen. D.h. es wird nicht dazu kommen, dass informative Suchanfragen für Seitenbetreiber komplett verloren sind. Allerdings ist davon auszugehen, dass Klickraten deutlich geringer sind als heutzutage in den Top 5 Rankings bei Google. Bei transaktionalen Suchanfragen wird ein Chatbot kurzfristig noch nicht viel Mehrwert liefern können. Ist der Besucher aber einmal in der Bing-Suche, wird er dort auch Shopping-Anzeigen und organische Suchtreffer in Anspruch nehmen. Bing SEO wird deshalb unmittelbar relevanter. Es ist empfehlenswert, die Bing Webmastertools, das Pendant zur Google Search Console, vorsorglich einzurichten. In der SEO-Tool-Landschaft wird es dann ebenfalls Bewegung geben: Alles richtet sich bisher auf Google aus. Das Monitoring von Bing-Suchergebnissen, ein Nischenthema, wurde aus guten Gründen kaum verfolgt.
Etablierte Methoden und SEM-Strategien müssen 2023 unter den neuen Vorzeichen einer ernsten Prüfung unterzogen werden. Der zu erwartende, neue Wettbewerb der Suchmaschinen Giganten, wird jedoch der Gemeinschaft der Werbetreibenden auch neue Handlungsmöglichkeiten und damit neue Macht verleihen.
Der Blick in die Glaskugel: Was kommt nach 2023?
Das gezeichnete Szenario ist bei weitem noch nicht in Stein gemeißelt. Möglicherweise entpuppt sich die 4. Generation von ChatGPT in der Microsoft-Suche als launiger und weniger ausgereift, als es die Ankündigungen von Microsoft bisher vermitteln. Der zu erwartende Ansturm experimentierfreudiger User könnte Microsoft technisch vor enorme Herausforderungen stellen. Möglicherweise belächelt die Internetgemeinde zukünftig Blackouts von Bing genauso höhnisch, wie es in den vergangenen Jahren bei Facebook der Fall war. Die gesamten webbasierten Office Tools haben sich bekanntlich vor einigen Wochen kräftig verschluckt und zu einem temporären, weltweiten Ausfall geführt.
In jedem Fall werden wir zumindest in Europa eine äußerst emotionale Debatte über Urheberrechte erleben. Jede KI ist nur so gut wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird. Das deutsche Leistungsschutzrecht hat schon in den vergangenen Jahren versucht, große Verlagshäuser an den Erfolgen von Google finanziell zu beteiligen. Fakt ist, dass das Interesse von Wissensträgern äußerst gering sein dürfte, Wissen öffentlich und frei verfügbar zu kultivieren, wenn am Ende des Tages kein eigener Vorteil dabei entsteht. Insofern dürfen wir sehr gespannt bleiben, wie dieser Spagat der Lieferung KI-generierter, mundfertiger Antworten auf der einen Seite und der Beteiligung von Website-Betreiberinnen und -Betreibern auf der anderen Seite durch die Konzerne zukünftig gelöst wird. Einen bedrohlichen Rückgang von Traffic-Flüssen zwischen Suchmaschinen und anderen Webseiten sehe ich mittelfristig – vor allem im wertvollen, transaktionalen Bereich – als eher unwahrscheinlich an.
Welche Auswirkungen werden wir deiner Ansicht nach im Suchmaschinenmarketing 2023 erleben?